Geschichte

Antidiskriminierungsverein Mittelhessen - Historie

Im Jahr 2012 beschloss der Kreistag des Landkreises Gießen auf Antrag des Kreisausländerbeirates die Möglichkeit der Einrichtung einer Anlaufstelle für Fragen der Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft und Religion/Weltanschauung für den Landkreis zu überprüfen und dabei auch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit benachbarten Kreisen und Städten auszuloten. Der Kreisausschuss (damals vertreten durch den Dezernenten für Integration und multikulturelle Angelegenheiten, heute vertreten durch den Dezernenten für Antidiskriminierung, Integration und Teilhabe) wurde mit der Überprüfung in Kooperation mit dem Ausländerbeirat beauftragt.

Der Kreisausländerbeirat initiierte daraufhin einen Runden Tisch, zu dem er neben Ausländerbeiräten und Integrationsbeauftragten auch Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte und Behindertenvertretungen aus der Stadt und dem Landkreis Gießen einlud. Die Resonanz auf das Vorhaben war von allen Seiten positiv. Schnell wurde klar, dass auch Anlauf- und Beratungsstellen für Menschen, die aufgrund weiterer Merkmale diskriminiert werden, eine auf Diskriminierungsberatung spezialisierte lokale Stelle begrüßen würden. Die Erweiterung des Vorhabens auf alle Diskriminierungsmerkmale war auch im Sinne des zuständigen Dezernenten, der außerdem vorschlug, den Kreis der beteiligten kommunalen Gebietskörperschaften zu vergrößern.

Eine interkommunale Arbeitsgruppe wurde initiiert und erhielt im Namen mehrerer mittelhessischer Verwaltungsleitungen den Auftrag, ein Konzept für ein niedrigschwelliges Beratungsangebot für von Diskriminierung Betroffene für die Region zu entwickeln. Der AG gehörten Vertreter*innen aus den Städten Marburg, Gießen, Wetzlar und den Landkreisen Marburg-Biedenkopf, Gießen, Lahn-Dill und Limburg-Weilburg an. Im September 2016 stellte die AG den Verwaltungsleitungen ein Konzept für eine mobile Antidiskriminierungsstelle in kommunaler Trägerschaft vor. Diese wurde von einigen der Städte und Kreise für derzeit nicht finanzierbar befunden. Die AG wurde gebeten zu prüfen, welche Möglichkeiten und Vorteile in einer Vereinsgründung liegen und diese gegebenenfalls vorzubereiten. Die AG hat daraufhin ein Konzept für einen Antidiskriminierungsverein entwickelt, der als regionales Netzwerk und als Träger einer niedrigschwelligen Anlaufstelle für von Diskriminierung Betroffene fungieren soll.

Am 26. Juni 2019 wurde Antidiskriminierung Mittelhessen e.V. gegründet – unter Beteiligung von einer Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen und den Landkreisen Gießen und Marburg-Biedenkopf sowie den Universitätsstädten Gießen und Marburg.

 

Hintergründe

Nach in Kraft treten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) soll der dort verankerte Schutz vor Diskriminierung auch auf der kommunalen Ebene umgesetzt werden. Ziel des AGG ist, Benachteiligungen aus Gründen der rassistischen Zuschreibungen oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen, gemäß § 1 AGG.

Um dieses Recht in allen gesellschaftlichen Bereichen umzusetzen, die Einhaltung der Gesetzgebung zu kontrollieren und nicht zuletzt Betroffene bei der Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen zu unterstützen, wurde die gesetzlich vorgeschriebene Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufgebaut. Im Jahr 2015 wurde die Antidiskriminierungsstelle des Landes Hessen eingerichtet. Antidiskriminierungsstellen für die lokale Beratung, Begleitung, Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit vor Ort fehlten hingegen. Diese ermöglichen aber die gezielte Beratung von Menschen in den Landkreisen und Regionen sowie eine Sensibilisierung und die gesellschaftspolitische Anerkennung des Themas.

Die 2017 durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes veröffentlichte Studie „Diskriminierungserfahrungen in Deutschland. Ergebnisse einer Repräsentativ- und einer Betroffenenbefragung“ zeigt alarmierende Ergebnisse auf: Fast ein Drittel aller Menschen in Deutschland hat nach eigener Aussage Diskriminierung erfahren. Von den im AGG relevanten Diskriminierungsmerkmalen wurde am häufigsten das Alter genannt (14,8%), gefolgt von Geschlecht (9,2%) und den Diskriminierungsmerkmalen Religion/Weltanschauung (8,4%) und rassistische Gründe/Herkunft (8,4%). Ca. jede*r zehnte Befragte fühlte sich diskriminiert aufgrund des nicht im AGG erfassten Merkmals „Sozioökonomische Lage“. Fast die Hälfte der Betroffenen (45,9%) gab an, dass die Diskriminierungserfahrung sie nachhaltig belastet. Nur 17,7% gaben an, sich gewehrt und dadurch bestärkt gefühlt zu haben. Solche Erfahrungen haben Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und zerrütten das Vertrauen in die Institutionen und in den Rechtsstaat.

Auch in Hessen ist Diskriminierung aufgrund von einem oder mehrerer der aufgeführten Merkmale alltäglich. Das widerspricht den gesetzlichen Vorschriften und ist nicht akzeptabel. Im Sinne des gesellschaftlichen Zusammenhalts muss weiteren Zuspitzungen entgegen gewirkt werden. Die Gründung des Antidiskriminierungsvereins Mittelhessen zielt auf die Etablierung einer breit gefächerten Antidiskriminierungskultur, die sowohl juristisch relevante als auch gefühlte Diskriminierung bewusst macht, ahndet, abbaut und ihr vorbeugt.